Welttag der psychischen Gesundheit

10. Oktober 2022 Tag der psychischen Gesundheit

Vor einiger Zeit kam eine Patientin zu mir in die Kunsttherapie. Sie malte und zeichnete mit Hingabe und arbeitete oft zu Hause weiter. In ihren Bildern erkannte sie immer wieder die Themen, die sie gerade beschäftigen. Eines Tages sagte sie zu mir: „Wir wissen so viel darüber, wie wir unseren Körper gesund halten, aber niemand sagt uns, wie unsere Seele gesund bleibt.“ Diese Aussage steht stellvertretend dafür, welche geringe Bedeutung der seelischen Gesundheit beigemessen wird.

Rasanter Anstieg psychischer Erkranungen

Seit Jahren erleben wir einen Anstieg seelischer Erkranungen. Fast ein Drittel der deutschen Bevölkerung leidet an depressiven Symtomen. Krankschreibungen aufgrund psychischer Erkranungen haben sich in den letzten zwanzig Jahren mehr als verdreifacht. Besonders dramatisch  verhält es sich bei Kindern und Jugendlichen. In den letzten zehn Jahren haben sich Depressionen bei Minderjährigen verdoppelt, so das Ärzteblatt. Die Anzahl der Klinikaufenthalte steigen an, wobei die Kollateralschäden der vergangen zwei Jahre noch nicht ansatzweise erfasst sind.

Seelische Not von Betroffenen und ihren Angehörigen

Das Leid der Betroffenen ist schier unermesslich. Sie benötigen jeden Tag auf`s Neue übermenschliche Kräfte, um morgens aufzustehen, ihren Verpflichtungen nachzukommen, den Tag irgendwie zu überstehen. Und wie viel Hoffnung braucht es, um bei all den Belastungen weiterzumachen und nicht einfach aufzugeben. Hinzu kommen aber auch noch ganz andere Probleme: längere Krankschreibungen bedrohen die Existenz, Ärzte und Therapeuten haben lange Wartelisten. Und so fühlen sich viele Menschen allein gelassen mit all ihren Sorgen und Nöten.

Tabuthema psychische Erkrankung

Wenn sich jemand den Fuß gebrochen hat und an Krücken läuft, ist es für alle sichtbar. Das Umfeld reagiert in der Regel rücksichtsvoll und unterstützend. Ist jemand dagegen seelisch erkrankt, sehen wir es ihm nicht an. Die Krankheit ist sozusagen unsichtbar, obwohl sie vorhanden und der Schmerz nicht weniger ist. Noch immer gelten psychische Erkrankungen als ein schambehaftetes Tabuthema, über das nicht gesprochen wird.

Seelenschmerz als gesellschaftlicher Spiegel

In meiner Arbeit erlebe ich Menschen mit seelischen Nöten oft als besonders sensibel. Sie nehmen sich selbst und ihre Umgebung deutlicher als sogenannte „gesunde“ Menschen wahr. Auf das rasante Tempo des Alltags, die Hektik und den Umgebungslärm reagieren sie schnell mit einer vermeintlichen Überforderung. Sie spüren deutlich, dass etwas in unserem Leben nicht stimmig ist. Manchmal habe ich das Gefühl, dass diese Menschen ein Seismograf unserer Gesellschaft sind.  Aus diesem Grund sollten wir Menschen mit seelischen Erkrankungen viel mehr Beachtung schenken, denn wir können viel von ihnen lernen.