Die deutsche Sprache fristet derzeit ein trauriges Dasein. Sie gilt als altmodisch und überholt. Der Tag der deutschen Sprache bietet eine gute Gelegenheit, sich damit einmal genauer zu beschäftigen.
Deutsch als Sprache der Wissenschaft, Bildung und der Kultur
Noch im letzten Jahrhundert galt Deutsch als eine Sprache, die international ein hohes Ansehen genoss. Da viele Impulse aus unterschiedlichsten Bereichen vom deutschsprachigen Raum ausgingen, wurden zahlreiche Wörter in anderen Kulturen aufgenommen. Insbesondere die Bildung hatte einen so hohen Stellenwert, dass beispielsweise das Wort „Kindergarten“ ins Englische einfloss. Das Wort „Arbeit“ wiederum hielt Einzug ins Japanische. Ich selbst habe einige Jahre Deutsch als Fremdsprache gelehrt. Wenn ich meine Studenten nach ihren Beweggründen frage, so formulierten sie auch häufig ein Interesse an der deutschen Literatur.
Sprache als kultureller und gesellschaftlicher Spiegel
Wie wir selbst mit unserer deutschen Sprache umgehen, sagt viel über unser eigenes Selbstverständnis und unsere kulturelle Identität aus. Nicht nur, dass wir in Wissenschaft und Forschung nur noch Anerkennung erhalten, wenn wir auf Englisch veröffentlichen. Der Umgang mit unserer Sprache wird auch im Alltag deutlich. So sprechen wir nicht mehr von unserer Arbeit, sonder unserem „Job“. Während ein „Job“ (z.B. Ferienjob) lediglich eine Tätigkeit ist, mit der wir Geld verdienen, hat eine „Arbeit“ eine völlig andere Bedeutung. Wir üben nämlich einen Beruf aus, und im Wort Beruf steckt der „Ruf“. Wir werden bzw. wir sind zu etwas „berufen“. Wenn wir unseren Beruf als solchen verstehen, dann ist es nicht einfach mehr nur Gelderwerb, sondern eine sinnstiftende Tätigkeit, die uns mit Zufriedenheit erfüllt. Das wirft ein völlig anderes Licht auf unsere Arbeit.
Sensibilisierung für Wortbedeutungen in der Therapie
Das dargestellte Beispiel verdeutlicht, dass unsere Wortwahl unser Denken und unsere Einstellung stark beeinflusst. In der Therapie arbeite ich daher bewusst mit der Bedeutung von Wörtern. Ich höre genau hin, welche Wörter meine Patienten verwenden. Ihre Formulierungen geben Hinweise auf die jeweilige Sichtweise, aus der sie ihr Leben betrachten. So verwendete beispielsweise eine Patientin wiederholt den Begriff „optimieren“. Sie hatte den Anspruch an sich selbst, immer alles noch besser zu machen und setzte sich damit ständig unter Druck. Als ich sie darauf aufmerksam machte, erkannte sie erleichtert, dass ihr Erwartungsdruck völlig unnötig war. Sie hatte eine wichtige Erkenntnis über sich selbst gewonnen, die für sie von Bedeutung war.
Wortbedeutungen „begreifen“
Mit Kindern gehe ich pragmatisch vor, wenn es um das Erlernen neuer Wörter geht. Kinder verstehen – begreifen Dinge besonders gut, wenn sie sie wortwörtlich greifen – anfassen können. Sie erhalten von mir daher oft entsprechende Aufträge, die natürlich dem Therapieziel angepasst sind. Die Kinder gießen Blumen, topfen um, bauen Türme, kochen Tee usw. Wenn sie die Handlungen ausgeführt haben, dann haben sie etwas wortwörtlich „begriffen„.
Kreativer Umgang mit der deutschen Sprache
Bei Patienten, sie meine Freude an der deutschen Sprache teilen, lasse ich Elemente aus der Poesietherapie einfließen. Die Patienten schreiben dann kleine Gedichte und Texte, in denen sie spielerisch mit Sprache umgehen und seelische Empfindungen zum Ausdruck bringen. Die Texte berühren mich oft tief im Herzen.