Sehnsuchtsorte gestalten

Sehnsuchtsorte gestalten

Sehnsuchtsorte gestalten

Jeder Tag in der Wohngruppe ist anders, und jedes Mal lerne ich die Jugendlichen neu kennen. Wie immer bin ich gespannt, was mich erwarten wird. Diesmal bin ich fast allein: zwei Jungs sind verreist, einer ist in die Stadt gefahren, ein weiterer schläft noch. Es scheint, als müsse ich wieder von von anfangen. Also gehe ich von Tür zu Tür und lade die Jugendlichen zur Kunsttherapie ein. Es dauert noch eine Weile, dann fangen wir an.

Arbeit mit Alltagsmaterialien

Die Jugendlichen und speziell die Jungs lieben es, mit verschiedenen Materialen dreidimensional zu arbeiten, so dass Objekte entstehen. Besonders gern verwenden sie die Heißklebepistole. Aus diese Grund stelle ich ihnen verschiedene Pappen, Papiere und Papprollen, Verpackungsmaterial und Holz zur Verfügung. Je alltäglicher die Dinge sind, um so höher die Kreativität, so mein Eindruck. Die einfachen Dinge fördern besonders die Phantasie, weil sie den maximalen Gestaltungsspielraum ermöglichen.

Wünsche sichtbar machen

Heute schlage ich vor, dass die Jugendlichen ihren Sehnsuchtsort gestalten. Sofort greifen sie zu den Materialien und beginnen mit ihrer Gestaltung. Ich staune, dass sie auf der Stelle eine Idee haben. Mir scheint, als wären die inneren Bilder sofort abrufbar, wenn danach gefragt wird. Pascal nimmt drei Papprollen und klebt sie auf eine Unterlage. Dann malt er Fenster an die Rollen, so dass Hochhäuser entstehen. Vor den Häusern stehen zwei schicke Autos. Eines davon ist sein eigenes, mit dem er die Umgebung erkundet. Pascal hat die Hochhäuser von Dubai gestaltet - eine Stadt, die für Wohlstand und ein schönes Leben steht. Er selbst möchte im mittleren in der obersten Etage wohnen, um die Aussicht und den Luxus zu genießen.

Wenn Zurückhaltung geboten ist

Tanja nimmt sich mehrere Pappen und klebt drei davon so zusammen, dass ein Haus entsteht. Sie bemalt es mit Tür und Fenster. Dann fügt sie eine weitere Pappe ein, so dass zwei Etagen entstehen. In der oberen Etage gestaltet sie ein sorgfältig ein Schlafzimmer mit Teppich, Kissen und Decke. Ein Ort des Rückzugs, der Liebe und Geborgenheit entsteht. Die Intimität ihres Objekts berührt mich tief. Ich unterstütze Tanja nur bei der technischen Umsetzung, stelle jedoch keine Fragen zu ihrem Haus. Es gilt, ihre Privatsphäre zu respektieren. In der Kunsttherapie wirken die inneren Prozesse beim Gestalten oft intensiv genug, so dass man nicht immer darüber sprechen braucht.

Fortsetzung folgt.