3. Dezember Tag der Menschen mit Behinderung

3. Dezember 2022 Tag der Menschen mit Behinderung

Wenn wir das Wort „Behinderung“ hören, denken die meisten von uns an Rollstuhlfahrer. Körperliche Beeinträchtigungen sind für alle sichtbar. Wir erkennen sie sofort und reagieren im besten Fall mit Hilfsbereitschaft. Viele Menschen, die zu mir kommen, haben eine Form von Behinderung, die nicht sofort erkennbar ist.

Behinderung ist nicht immer sichtbar

Da ist z.B. der fünfjährige Paul, der so unverständlich spricht, dass er nicht verstanden wird. Ständig muss er das Gesagte wiederholen und wird oft wütend, wenn trotzdem nachgefragt wird. Bei Paul handelt es sich um eine Sprachbehinderung. Oder der zehnjährige Max mit Autismus. Er kann kaum fünf Minuten am Tisch sitzen und sich konzentrieren, spingt immer wieder auf, macht seltsame Geräusche. Von der geistigen Entwicklung ist er mit einem vierjährigen Kind vergleichbar, dabei ist er der größte seiner Klasse.  Oder aber der dreijährige Karl, der noch gar nicht spricht. Wenn er aufgeregt ist, dreht er sich um seine eigene Körperachse, bis ihm schwindlig wird. Eine Diagnose steht noch aus, aber die Eltern fühlen, dass mit ihm etwas nicht stimmt.

Eltern in Not

Die Eltern von diesen Kindern sind ständig mit Problemen konfrontiert. Da ist beispielsweise der Antrag auf die Pflegestufe, der abgelehnt wird. Da sind die lange Warteliste für die Frühförderung, die komplizierten Formulare vom Sozialamt, der kaum überschaubare Papierkram. Es sind aber auch die schwierigen Alltagssituationen, wenn Max in den frühen Morgenstunden das ganze Haus zusammenbrüllt und die Nerven blank liegen. Wenn der Hort geschlossen  ist und die Eltern das „behinderte“ Kind mit zur Arbeit nehmen müssen. Oder die Kita, die Karl von Ausflügen einfach ausschließt, weil der Junge schlichtweg zu anstrengend ist. Die Liste ließe sich noch weiter fortsetzen, denn ich höre solche Dinge täglich. Eltern dieser Kinder sind häufig völlig erschöpft, verzweifelt und fühlen sich allein gelassen.

Alle gleich oder eben doch nicht?

Vor dem Gesetz sind wir alle gleich, egal ob behindert oder nicht. In der Realität sieht das jedoch ganz ganders aus. Gerade Menschen mit Behinderung benötigen ein besonderes Maß an Zuwendung und Aufmerksamkeit, genauso wie ihre Angehörigen. Das wird ihnen oft vorenthalten. Sie sollen sich in die Gesellschaft einordnen wie alle anderen.

Behinderung in meinem Praxisalltag

Und weil eben Menschen mit Behinderung andere Bedürdnisse haben, gestalten sich die Therapiestunden auch anders. So sitze ich gemeinsam mit den Eltern am Tisch, um einen Antrag zur Frühförderung auszufüllen. Ich gebe ihnen Raum, um ihre Not und Verzweiflung auszusprechen und gehört zu werden. Oder ich sitze mit dem kleinen Karl auf dem Fußboden und baue Türmchen. Plötzlich ist der quengelige und kaum zu bändigende Junge ganz ruhig. Er stellt ein Klötzchen auf das andere, schubst den Turm um und beginnt von vorne. Seine Mutter schaut dabei zu und lächelt. Und plötzlich stellt sich ein Moment des Friedens ein, in dem alle Sorgen verblasst sind.