Ali kommt zur Schule

Ali kommt zur Schule

Ali kommt zur Schule

Es klopft an der Tür, ich öffne, und da steht er vor mir: der sechsjährige Ali. Groß und kräftig ist er für sein Alter, aber seine Seele ist zart und zerbrechlich. Heute ist er mit seiner Mutter und seiner großen Schwester gekommen. Es ist seine letzte Therapiestunde, dann kommt er in die Schule.

Intensivtherapie in kleinen Schritten

Als Ali vor einem Jahr zu mir kam, sprach er nur mit Händen und Füßen. In seiner Lebendigkeit sprang er oft vom Stuhl, um mir etwas wild gestikulierend zu erklären. Stunde für Stunde übten wir neue Wörter, kleine Sätze. Wir malten, bastelten, spielten, schauen Bücher an. Es war für ihn eine anstrengende Arbeit, aber wir hatten auch immer viel zu lachen. Seine Fröhlichkeit ist ansteckend. Obwohl Ali geistig gut entwickelt ist, bereitet ihm das Sprechen eine unglaubliche Mühe.

Vorbereitung auf die Schule

Ali muss in die Schule gehen, so wurde es entschieden. Seine schwere Sprachstörung spielt keine Rolle, genauso wenig meine fachlichen Bedenken. Ich habe mein Bestes gegeben, damit er die wichtigsten Grundlagen erlernt. Ali musste bei mir nicht nur das Sprechen üben, sondern auch das Zuhören, Abwarten und das Sitzen am Tisch. In der Schule darf er nicht aufspringen, wenn er sich mitteilen möchte. Auch wenn es mir schwergefallen ist, ich musste gelegentlich auch streng zu ihm sein: "Hör gut zu.", "Schau mich an!" usw.

Der Abschied

Seine Eltern machen sich große Sorgen. Sie fühlen, dass es nun sehr schwer für Ali sein wird. In der Schule wird er kaum Unterstützung erhalten. Wenn er Glück hat, bekommt er eine Förderstunde pro Woche, doch das wird nicht reichen. Doch es würde für ihn viel zu anstrengend werden, nach dem Unterricht in meine Praxis zu kommen.  Es ist Zeit loszulassen. Ali habe ich alles mitgegeben, was ich konnte. Nun kann ich ihm nur wünschen, dass er am  Schulsystem nicht zerbricht, sondern voller Selbstvertrauen seinen steinigen Weg geht. Ich gebe ihm seinen dicken Therapiehefter. Dann drückt er mich etwas unbeholfen, sagt "Tschüss" und rennt zum Ausgang.