Ich will der Allerbeste sein.

„Ich will der Allerbeste sein“

"Ich will der Allerbeste sein."

Es ist die dritte Ferienwoche, in der ich in die Wohngruppe fahre und mit den Jugendlichen kunsttherapeutisch arbeite. Während die Jungs erst noch gerufen werden müssen, wartet Tanja schon auf mich. Sie konnte beim letzten Mal ihre Arbeit nicht beenden. Ihr Werk steht bereits auf den Tisch, so dass sie nur noch weitermachen braucht. Dann kommen zwei Jungs dazu. Es gelingt mir nicht, dass wir gemeinsam den Vormittag beginnen. Jeder ist in seinem eigenen Rhythmus.

Wünsche und Träume sichtbar machen

Tanja arbeitet weiter an ihrem Haus. Sie schneidet mit dem Cutter Tür und Fenster aus, so dass jetzt Licht ins Innere gelangt. Dann baut sie ein Sofa bzw. Bett aus Holz. Sie kleidet es liebevoll mit Watte aus und klebt Stoff darüber, so dass es ganz weich und gemütlich ist. Zum Schluss klebt sie rosa Herzen auf und stellt ihr Bett auf das Haus. Ein Dachgeschoss ist entstanden. Sie möchte nicht über ihr Werk sprechen, es ist ihr viel zu persönlich. Tanja ist müde von ihrer Arbeit und zieht sich zurück.

Gruppendynamik zeigt sich

Wenn ich kunsttherapeutisch mit mehreren Personen arbeite, dann zeigt sich schnell die Gruppendynamik, so auch in der Wohngruppe. Die Jugendlichen reden heute ständig durcheinander. Auch wenn ich sie darauf anspreche, wird es einfach nicht ruhiger. Jeder möchte sich mitteilen, etwas sagen, ungeteilte Aufmerksamkeit erhalten. Im Gegensatz zu kleineren Familien müssen sie sich in der Wohngruppe ständig durchsetzen und behaupten. So  entsteht der Wunsch, auch einmal selbst im Mittelpunkt zu stehen und alle Aufmerksamkeit für sich zu haben. Das zeigt sich deutlich an der Abeit vonDaniel. Er bemalt eine Pappschüssel, baut einen Hut daraus und schreibt in die Innenseite "Ich will der Allerbeste sein". Als er fertig ist, zeigt er mir seine Arbeit stolz. Ich betrachte seinen Hut gnz genau und lobe ihn. Carl dagegen hat materielle Wünsche. Aus Holz und Pappe baut er einen "Geldroboter", der Geldscheine und Münzen im Inneren des Körpers aufbewahrt. Als ich ihn frage, was er mit dem Ersparten kaufen möchte, ist er ein wenig ratlos. Die Botschaften der Jugendlichen sind eindeutig und unmissverständlich.

Mein therapeutisches Dilemma

Ich habe das Gefühl, den Bedürfnissen der Jugendlichen kaum gewachsen zu sein. In der Kunsttherapie geht es mir darum, dass sich die Jugendlichen zum Ausdruck bringen können. Ihre Werke zeigen ihre Bedürfnisse und Sehnsüchte so direkt, dass ich selbst erstaunt und gleichzeitig erschüttert bin. Ob ich als Therapeutin zumindest einen kleinen Beitrag leisten kann, um sie in ihrer Entwicklung zu unterstützen? Ich bin unsicher und fahre nachdenklich nach Hause.

Fortsetzung folgt.