Therapie im Bällebad

Therapie im Bällebad

Es ist spät, und ich sitze gemeinsam mit Emil im Kinderheim am Tisch. Er ist mein letzter kleiner Patient an einem langen Arbeitstag. Nebenan befindet sich ein großes Bällebad. Die Kinder lieben es, aber für mich bedeutet es nur Ablenkung. Von daher ist es für mich eher ein Hinternis. Emil fragt vorsichtig, ob er am Ende der Therapiestunde ins Bällebad darf. Ja, darf er, wenn wir mit den Übungen fertig sind.

Artig und angepasst

Draußen wird es schon dunkel, während ich ihm eine Übung nach der anderen vorlege. Der achtjährige Junge hat große Probleme mit dem Lesen und Schreiben, da ist ein diszipliertes Üben unerlässlich. Doch Emil macht gut mit, obwohl er sich die Wortreihen schlecht merken kann und immer wieder nachfragt. Während andere Kinder schnell aufgeben würden, löst er artig alle Aufgaben. Widerspruch oder gar Revolte liegen ihm völlig fern. In seinem Verhalten wirkt er völlig angepasst, denn er sehnt sich nach Lob und Annerkennung. Vielleicht ist es seine Strategie im Umgang mit Erwachsenen, denn die meisten Heimkinder haben sehr früh Überlebensstrategien für sich entwickelt.

Und plötzlich lerne ich von ihm

Doch endlich sind wir fertig mit dem Üben. Emil läuft freudig zum Bällebad. Er steigt auf den Rand, macht einen Salto und lässt sich mit einem lauten Juchzer in die Bälle fallen. Er dreht und wendet sich, taucht immer wieder ein, klettert heraus und springt wieder in die Bälle. Ich stehe da und schaue ihm zu. "Spring doch auch mal rein, es ist so schön hier", sagt er. Ich überlege kurz. Warum nicht, denke ich. Emil führt mir nochmal den Salto vor. "Das ist zu schwer für mich", gebe ich zu bedenken. - "Dann mach doch eine Arschbombe, das ist einfacher", antwortet Emil. Und plötzlich ist er es, von dem ich lerne.

Kindliche Lebendigkeit

Ich ziehe die Schuhe aus, steige auf den Rand vom Bällebad und springe hinein. Das Bällebad ist viel tiefer als gedacht. Ich sinke neben Emil ein und bin einfach verschwunden. Wir können uns nicht sehen, weil wir von den bunten Bällen bedeckt sind. Dann taucht da ein Bein auf, dort eine Hand. Emil ist fröhlich und ausgelassen. Er muss laut lachen, weil ich einfach nicht mehr aus dem Bällebad herauskomme. Ich erlebe ihn erst jetzt in seiner ganzen Kindlichkeit, Ausgelassenheit und Lebendigkeit, die für seine Entwicklung so wichtig ist. Gleichzeitig spüre ich, wie anstrengend mein eigener Tag war, und wie gut auch mir eine Pause tut.

Übungen und Pausen im Wechsel

Emil hat mir gezeigt, was wichtig ist in der Therapie: eine gute Mischung aus Übungen und Pausen. Vor allem aber braucht er - brauchen wir beide - Momente des Spielens und der Freude. Deshalb ziehen wir uns nun jede Woche, wenn wir alle Übungen erledigt haben, die Schuhe aus und springen vergnügt ins ins Bällebad.