Zwiegespräch mit einem Bild.

Zwiegespräch mit einem Bild

Frau König kommt einmal wöchentlich mit ihrem lebendigen Hündchen zu mir in die Kunsttherapie. Unsere gemeinsame Arbeit gestaltet sich recht unkonventionell. Manchmal malen wir gemeinsam ein Bild, manchmal arbeitet Frau König allein für sich und manchmal sitzen wir gemeinsam auf dem Fußboden und reden, während ihr Hündchen immer wieder nach Aufmerksamkeit sucht.

Bilder sprechen für sich

Wenn Frau König ihr Bild fertiggestellt hat, betrachten wir es ausgiebig. Im Bild ist viel Unausgesprochenes sichtbar. Ich erkenne, ob der Pinselstrich behutsam oder sehr kraftvoll ist, ob Linien leicht oder dynamisch sind, ob das Bild liebevoll oder impulsiv gemalt wird. Die Bilder sprechen eine eigene Sprache, und als Kunsttherapeutin kann ich sie lesen. Ich überlege mir gut, ob ich das Bild so stehenlasse. Manchmal ist es gar nicht notwendig, all die Emotionen, die während des Malens erlebt wurden, noch einmal ins Bewusstsein zu holen. Allein der Prozess wirkt für sich.

Zwiespräch mit einem Bild

Je nach Situation stelle ich behutsam Fragen, allerdings immer nur zum Bild. Ich frage Frau König, wie sie sich beim Malen gefühlt hat, was ihr am Bild besonders wichtig ist, was ihr daran gefällt usw. Es ist so, als würden wir ein Zwiegespräch mit einem Bild haben, und Frau König übersetzt für mich. Das Bild ist immer eine Momentaufnahme ist und spiegelt den aktuellen Seelenzustand des Patienten. Da wir immer über das Bild reden, kann Frau König selbst entscheiden, ob sie dabei bleibt ober über sich selbst in der Ich-Form spricht.

Man muss nicht alles aussprechen

Genau hier liegt mein Vorteil als Kunsttherapeutin. Ich brauche Frau König keine persönliche Fragen stellen, weil das Bild stellvertretend für sie spricht. Das ist vor allem für Patienten sehr erleichternd, wenn sie bereits einen langen Leidensweg hinter sich haben und bei verschiedenen Therapeuten waren. Sie müssen bei mir nicht alles von vorne erzählen. Selbst zu Beginn der Therapie stelle ich nur wenige Fragen, z.B. ob sie schon einmal kunsttherapeutisch gearbeitet und welche Therapieformen ihren bislang geholfen haben. Manchmal habe ich das Gefühl, dass sich Patienten durch diese Diskretion in ihrer Würde erleben können.

"Suchen Sie sich eine richtige Therapeutin"

Seit vielen Jahren begibt sich Frau König immer wieder in therapeutische Behandlung, bis sie die Kunsttherapie für sich entdeckte. Sie ist mit meiner Arbeit zufrieden und erzählt davon ihrer Psychiaterin. Diese meint, Kunsttherapie wäre schon in Ordnung, aber sie solle sich trotzdem eine "richtige" Therapeutin suchen. Ich fühle mich mit dieser Aussage keineswegs gekränkt und muss schmunzeln. Die Kunsttherapie wird noch lange nicht als ernstzunehmende Therapieform wahrgenommen, obwohl ihre Wirkung wissenschaftlich belegt ist. Wenn wir also mal wirklich nicht weiterkommen, dann frage ich Frau König mit einem Augenzwinkern: "Und, was meint Ihre richtige Terapeutin dazu?"