Viele Vorschulkinder kommen zu mir, weil sie das /s/ nicht richtig aussprechen, so auch die sechsjährige Anna. Ihre Zunge rutscht ständig zwischen die Zähne. Wir nennen das Lispeln in der Fachsprache Sigmatismus. Ihren Eltern ist es sehr wichtig, dass Anna richtig spricht, bevor sie in die Schule kommt.
Schritt 1: Genau hinhören
Die eigenen Fehler können wir nur ändern, wenn wir sie auch erkennen. Genauso ist das in der Logopädie. Daher müssen zuächst die Ohren geschult werden. Mit Anna übe ich Unterschiede zu hören, z.B. ob ich ein /sch/ oder ein /s/ spreche, ob ich Tasse oder Tasche sage. Ich übe aber auch mit ihr genau hinzuhören, wenn ich lispele. Für Anna ist es ein Riesenspaß, wenn ich mich dabei ertappt. Erst wenn das Hören perfekt klappt, zeige ich Anna, wie sie das /s/ richtig spricht.
Schritt 2: Richtig sprechen
Wir arbeiten am Spiegel, damit Anna ihren Mund und die Zunge gut sehen kann. Ich zeige ihr, wie die Zunge hinter den Zähnen bleibt. Anna schafft es gleich beim ersten Mal, und die Freude ist enorm. Sie läuft strahlend zu ihrer Mutter und drückt sie fest. Annas Mutter ist immer dabei und kann die Fortschritte ihrer Tocher genau mitverfolgen. Für mich gib es aber noch einen anderen Grund: ich benötige ihre Hilfe, wenn die Therapie erfolgreich sein soll.
Schritt 3: Üben, üben und nochmals üben
Meine eigene Arbeit ist vergleichsweise gering, denn nun kommt der wichtigste Schritt: Anna muss zwischen den Therapiestunden regelmäßig üben. Das ist ziemlich manchmal ziemlich langweilig und braucht viel Disziplin, aber anders geht es nunmal nicht. Es ist ein bisschen so wie eine schlechte Angewohnheit, die wir loswerden wollen. Ich gebe ihr also jede Stunde kleine Übungen mit nach Hause. Sie ist noch nicht alt genug, um selbstständig an das Üben zu denken, deshalb braucht sie ihre Eltern.
Schritt 4: Im Alltag richtig sprechen
Ich merke sofort, ob zu Hause geübt wurde. Erst durch das Festigen kann ich die Übungen immer schwieriger gestalten: Wörter mit /s/, kleine Sätze mit /s/, Sätze mit vielen /s/ usw. So gelingt es Anna, auch im Alltag richtig zu sprechen. Weil sie so zielstrebig geübt hat, haben wir in zehn Stunden das Therapieziel erreicht. Jetzt steht der Einschulung nichts mehr im Wege. Übrigens kann man das Lispeln in jedem Alter behandeln, es ist also nie zu spät für die Logopädie.