Geduld, Geduld
Die Erzieher vom Kinderheim vertrauen mir einen neuen kleinen Patienten an. Der vierjährige Felix fällt mir sofort umgestüm um den Hals, umklammert mich und lässt mich nicht mehr los. Sanft löse ich seine Hände und schiebe ihn ein Stück von mir weg, damit ich ihm in die Augen schauen kann. Es wird viel Geduld brauchen, um mit ihm arbeiten zu können.
Zwischen Überforderung und Frustration
Wir gehen zusammen in den Therapieraum und erkunden die Umgebung. Dann setzen wir uns an den Tisch. Ich habe ein Spiel mitgebracht, das Felix neugierig öffnet. Doch das Interesse schwindet schnell. Bereits nach wenigen Würfelrunden legt Felix den Kopf auf den Tisch: "Puh, das ist so anstrengend." Seine Konzentration kann er nur wenige Minuten aufrecht erhalten. Also machen wir eine Pause. Felix legt sich in die große Schaukel und ruht sich aus. Dann lege ich ihm Stifte und Papier hin. Felix kritzelt nur wenige schnelle Striche und legt dann die Stifte beiseite.
Arbeit in kleinen Schritten
Woche für Woche versuche ich es auf`s Neue, Felix an Aufgaben heranzuführen, die seine Sprachentwicklung fördern. Doch immer wieder müssen wir die Übungen unterbrechen, weil er schnell ermüdet: "Es ist zu schwer" oder "Ich kann nicht mehr.", höre ich ihn oft sagen. Dabei fordere ich keineswegs viel von ihm, alles ist spielerisch und vergleichsweise einfach. Ich weiß, dass wir nicht weiterkommen, wenn ich Druck aufbaue. Alles braucht eben seine Zeit.
"Wieso kommst du so spät?"
Einmal komme ich später als üblich ins Kinderheim. Felix begrüßt mich verärgert: "Warum kommst du so spät? Ich warte auf dich?". Obwohl er noch nicht die Uhrzeit kennt, hat er ein gutes Zeitgefühl. Ich erkläre ihm, dass ich vorher noch mit anderen Patienten gearbeitet habe, doch davon will er nichts wissen. Recht hat er, wir beide haben ja einen Termin. Mein wöchentlicher Besuch ist zu einem wichtigem Bestandteil in seinem Alltag geworden.
Beziehung ist (fast) alles
Diesmal habe ich ein Puzzle mitgebracht. Durch den Transport sind alle Teile auseinandergefallen. "Kannst du mir helfen, das Puzzle wieder zusammenzufügen?", frage ich ihn. Felix hüpft sofort auf den Stuhl und beginnt mit der Arbeit. Jedes einzelne Teil nimmt er in die Hand und betrachtet es ganz genau. Und Stück für Stück setzt er die einzelnen Teile zusammen, bis ein ganzes Bild entsteht. Zum ersten Mal schafft er es, sich auf eine Aufgabe einzulassen und zu Ende zu bringen. Das geduldige Abwarten hat sich gelohnt. Ich weiß, dass ich von nun an gezielt an logopädischen Inhalten arbeiten kann. Seine anfängliche Distanzlosigkeit ist zurückgegangen. Er braucht sich mir nicht mehr wild an den Hals zu werfen, denn zwischen uns ist eine verlässliche Beziehung entstanden.