Hausbesuch im Kinderheim

Hausbesuch im Kinderheim

Hausbesuch im Kinderheim

Einmal in der Woche fahre ich ins Kinderheim zum Hausbesuch. Theoretisch könnten die Kinder auch zu mir in die Praxis kommen, aber da sind wir bereits beim ersten Problem: Die Personaldecke ist wie in allen sozialen Einrichtungen viel zu gering, um Kinder regelmäßig zur Logopädie zu bringen. Also fahre ich zu ihnen.

Gute Therapievorbereitung nötig

Vor Ort stelt man mir einen Raum zur Verfügung. Die Betreuer sind immer sehr nett und hilfbereit zu mir, ich fühle mich willkommen. Für mich bedeutet die Arbeit außerhalb der Praxis, dass ich meine Therapiestunden gut vorbereiten muss. Vor allem bei den Materialien darf ich nichts vergessen. Also überlege ich, wie ich therapeutisch mit den Kindern arbeiten kann, was ihnen Freude bereitet und wie ich ihre Interesse berücksichtige. Dann packe ich alle Sachen in einen kleinen Kinderkoffer.

Ein stürmisches Willkommen

Die Kinder freue sich riesig auf mich, ich werde stürmisch empfangen. Die siebenjährigen Jungs Paul und Tom laufen mir freudig entgegen. Dann beginnt ein Streit, wer zuerst mit mir arbeiten darf. Jetzt ist diplomatisches Geschick gefragt: Auch wenn sich die Reihenfolge jede Woche ändert, ist der Junge, der nicht der Erste ist, tief am Boden zerstört. Er hatte sich doch so gefreut und nun das. Die Jungs  können eine solche Situation kaum aushalten, denn sie fühlen sich zurückgewiesen. Da sie emotional instabil sind, reicht eine Kleinigkeit, und ihre Wut und Enttäuschung kennen  keine Grenzen. Wenn sie dann aber endlich mit mir arbeiten dürfen, ist der anfängliche Ärger schnell vergessen.

Es geht nur über eine gute Beziehung

Tom darf diesmal als Erster mit mir kommen. Sofort reißt er mir den kleinen Kinderkoffer aus der Hand, trägt ihn für mich und läuft zum Therapieraum. Dort schließt er mir den Raum auf. Beide Jungs sind unglaublich hilfsbereit, sie möchten alles richtig machen. Ich bedanke mich stets und lobe sie für ihre Hilfe. Die Begrüßung hat bereits gezeigt, dass die Stimmung sich sehr schnell ändern kann. Ich kann nur therapeutisch arbeiten, wenn ich immer wieder eine gute Beziehung herstelle. Es ist das Fundament, auf dem ich die Therapieziele aufbaue. Im Kinderheim braucht das besonders viel Zeit.

Routinen stabilisieren die Kinder

Wir sind also nun im Therapieraum angekommen.Tom kann es kaum erwarten, den kleinen Koffer zu öffnen. Diesmal habe ich kleine Holzfiguren mitgebracht. Schnell sind wir im Rollenspiel, und ich lasse geschickt Wörter und Satzstrukturen einfließen, die gerade erarbeitet werden. Doch Toms Konzentration reicht jedoch nicht lange. Wir wechseln zu einem Bewegungsspiel, bevor es mit der nächsten Therapiesequenz weitergeht. Gerade Tom und Paul benötigen Routinen, die ihnen Sicherheit und Stabilität vermitteln. Ich baue die Therapiestunden in ihrer Abfolge stets gleich auf, so dass sie sich gut orientieren können.

Der Abschied fällt schwer

Tom genießt die Zeit, in der ich mich nur mit ihm allein beschäftige. Die ein-zu-eins-Situation ist ein wertvolles Geschenk, denn im Kinderheim muss er sich jeden Tag unter all den anderen Kindern behaupten. Manchmal wollen die Jungs nicht gehen, auch wenn die Stunde längst vorbei ist. In solchen Momenten bin ich einfach hilflos. Also frage ich sei, was ich nächste Woche in den Koffer packen soll, wenn ich wieder zu ihnen komme. Wenn ich mich verabschiede, wirkt die Zeit im Kinderheim immer noch lange nach. Die Eindrücke wollen jedes Mal gut verarbeitet werden.