Wut im Bauch
Jonas ist genervt. Nichts bereitet ihm mehr Freude, alles ist doof. In der Schule hat er Schwierigkeiten, mit den Freunden gibt es Streit, und in der Wohngruppe gibt es auch nur Ärger. Eigentlich will er gar nicht mit mir arbeiten, denn er hat die Nase gestrichen voll.
Das Monsterbild
Zu den geplanten logopädischen Aufgaben kann ich ihn in dieser Stimmung nicht bringen, also lege ich ihm ein riesiges Blatt Papier auf den Fußboden. "Möchtest Du etwas malen?", frage ich ihn. Stumm greift er zu Pinsel und Wasserfarben. Aus einem großen Kreis entsteht nach und nach ein grimmiges Gesicht mit dunklen Augen und gefährlichen Zähnen. "Das ist ein Monster", sagt er eintönig zu mir. Er erwartet von mir eine Reaktion, aber ich antworte einfach nur: "Ja, male doch einfach mal ein Monster." Damit nehme ich der ganzen Situation die Dramatik.
Die Not sichtbar machen
Jonas möchte mit dem provozierenden Bild eines Monsters auf seine Notlage aufmerksam machen. Es ist ein Aufschrei: "Sieh her, wie schlecht es mir geht". Und indem er es aufmalt, wird die Not wortwörtlich sichtbar. Das große Format unterstützt sogar noch die Bildaussage. Wir können gemeinsam draufschauen, und das Bild ist der physische Beweis für seine seelischen Empfindungen.
Es will nicht gelingen
Immer wieder malt Jonas über das Monstergesicht. Die Augen und der Mund werden immer größer. Dann kommen riesige Ohren dazu. Doch je mehr er übermalt und korrigiert, umso unzufriedener wird er. Das Bild will einfach nicht so werden, wie er es sich vorstellt. Jonas ist frustriert. Auch das noch: da läuft gerade alles schief, und nun auch noch ein mislungenes Bild.
"Dann mach es doch kaputt"
Ich kann förmlich spüren, wie die Wut den Raum füllt. Wir schauen beide auf das Bild, das Jonas überhaupt nicht gefällt. Dann schlage ich ihm vor: "Dann mach es doch kaputt." Fassungslos schaut er mich an und versteht nicht. "Na, wenn es Dir nicht gefällt, kannst du es noch einfach zerstören." - "Wirklich, das geht?" Und dann nimmt er all seinen Mut zusammen: Erst zerknüllt er das Bild, dann reißt er es in einzelne Stücke und schließlich tritt er darauf mit den Füßen rum.
Wut kanalisieren
Es fühlt sich so gut an. Endlich kann Jonas seine ganze Wut herauslassen. Es ist nicht einfach nur die Wut darüber, dass das Bild aus seiner Sicht nicht gut geworden ist. Es ist seine ganze Frustration in seinem Leben, die sich angestaut hat und sich jetzt seinen Weg bahnen kann. Im geschützten kunsttherapeutischen Rahmen kann er diese Emotionen zeigen, ohne sich selbst oder andere Menschen zu verletzten. Am Ende betrachtet Jonas die zerrissenen Bildteile auf dem Boden und fragt mich: "Und was sagen wir jetzt meiner Erzieherin?" - "Na das du super geabeitet hast." - "Und das kaputte Bild?"- "Du kannst nächste Woche einfach ein neues malen, ich habe genug Papier und Farbe für dich."