Aquarellieren mit Kindern
Unruhig rutscht der neunjährige Finn auf seinem Stuhl hin und her. Das Lesen strengt ihn an, denn er kann sich einfach nicht konzentrieren. Und doch fordere ich ihn immer wieder auf, noch ein weiteres Wort Silbe für Silbe zu lesen, bis wir endlich die Aufgabe geschafft haben. Jetzt haben wir noch ein bisschen Zeit. "Ich will malen!", sagt Finn und fordert Papier und Farbe.
Das passende Material
Finn möchte mit Pinsel und Farbe malen. Doch leider habe ich kein passendes Papier dabei. Das weiße Blatt ist viel zu dünn und saugt die Farbe auf. Mit dem Ergebnis ist Finn nicht wirklich zufrieden. Da kommt mir eine Idee: "Nächste Woche bringe ich Dir etwas ganz Besonderes mit: Aquarellpapier." Doch das Papier ist noch längst nicht alles. Finn gibt sich für heute zufrieden, und wir beenden die Therapiestunde.
Aquarellieren für Kinder?
Obwohl ich schon vor langer Zeit Aquarellfarbe für Kinder angeschafft habe, wurde sie nie benutzt. Immer wieder habe ich meine Dozentin an der Schule für Gestaltung in Basel im Ohr. Sie wurde nicht müde zu betonen, was für eine anspruchsvolle Technik das Aquarellieren ist. Und obwohl ich selbst völlig unbedarft mit Aquarellfarbe arbeite, schien es mir für meine kleine Patienten ungeeignet. Die Aussage meiner Dozentin hatte sich irgendwie doch bei mir eingeprägt.
Freude an Farbe
In der nächsten Therapiestunde lesen wir wieder mühsam Wort für Wort. Doch dann packe ich das dicke Aquarellpapier aus. Finn ist hellauf begeistert, mit so einem besonderen Papier hat er noch nie gearbeitet. Dann stelle ich die Farben aus dem Tisch. Das Auftragen von Farbe auf die Palette, das Verdünnen mit Wasser und das Mischen nimmt viel Zeit in Anspruch, doch Finn ist nur am Staunen. So etwas hat er noch nie gemacht.
Zur Ruhe kommen
Endlich beginnt Finn mit dem Malen. Schnell versteht er, dass er sehr viel Wasser und sehr wenig Farbe benötigt. Wie groß ist die Fraude, wenn die Farben auf dem Blatt verlaufen, sich mischen, wieder neue Farben erzeugen. Ein Gefühl von Leichtigkeit erzeugt das Aquarellieren. Ganz leise und in sich versunken arbeitet er. Und endlich kommt er bei sich an. Seine Konzentrationsprobleme sind ganz weit weg, denn jetzt befindet er sich in einer anderen Welt. Noch stundenlang könnte er einfach so mit Pinsel und Farbe spielen.
Offen für Neues
Die gemeinsame Erfahrung mit Finn zeigt mir, dass wir Kindern viel zutrauen könnten. Wenn wir uns von dem Kunstgedanken verabschieden und einfach mit dem Material spielerisch umgehen, dann kann warscheinlich jeder von und aquarellieren, unabhängig von Alter und sogenannten medizinischen Diagnosen. Denn er von uns empfindet nicht Freude an leuchtenden Farben?