Kunsttherapie mit Jugendlichen im Sommer 2022

Malen mit Jugendlichen

Malen mit Jugendlichen

Als ich in die Wohngruppe komme, sitzen die Jugendlichen schon am Tisch und beenden gerade ihr Frühstück. Es brauchte keine Überredungskünste, niemand muss aus dem Bett geholt werden. Heute habe ich eine Überraschung: ein kleiner Spatz ist mit dabei. Er ist aus dem Nest gefallen, so dass ich ihn mit der Hand aufziehe.

Der Spatz als Co-Therapeut

Die Jungs sind begeistert, als ich den Käfig auf den Tisch stelle. Einen Vogel haben sie noch nie aus der Nähe gesehen. Ich erzähle ihnen die Geschichte, wie ich den Spatz aufgenommen habe, wie schnell er wächst und dass er ständig Hunger hat. Dann helfen sie mir, ihn mit Würmern zu füttern. Besonders der vierzehnjährige Patrick (Name geändert) ist fasziniert von dem kleinen Tier, nimmt es behutsam in die Hand und ist erstaunt über die weichen Federn. Alle Jugendlichen können sich mit dem kleinen Spatz identifizieren, der so sehr auf menschliche Hilfe angewiesen ist.

Ein Ort für den Spatz

Wir verbringen viel Zeit, den Spatz gemeinsam zu beobachten und uns an ihm zu erfreuen. Nachdem er genug gefressen hat, steckt er sein Köpfchen unter den Flügel und schläft ein. Die Jugendlichen überlegen gemeinsam, wo so ein Spatz lebt und an welchem Ort er sich wohlfühlen würde. Ihre Ideen malen sie auf ein großes Blatt Papier. Es entstehen Bilder in hellen Farben mit blauem Himmel, leuchtender Sonne und großen Bäumen. Jeder der Jugendlichen malt einen herrlichen Ort, der fröhlich und unbeschwert wirkt.

Grün ist nicht einfach nur grün

Während es in der ersten Woche noch ziemlich laut zuging, herrscht nun eine konzentrierte Stille. Jeder ist vertieft ein seine Arbeit. Ich beobachte, wie die Jugendlichen die Farben direkt von der Palette auf das Blatt auftragen. Also zeige ich ihnen, wie man sie mischen und damit viele verschiedene Farbnuancen erzeugen kann. Patrick ist völlig überrascht, wie viele Grüntöne entstehen können. Plötzlich stehen ihm unendlich viele Farben und damit grenzenlose Möglichkeiten zur Verfügung.

Miteinander in der Gruppe

Die Stille wird lediglich unterbrochen, wenn sich die Jugendlichen gegenseitig Materialien reichen, die sie gerade benötigen. Sie bedanken sich, wenn ihr Nachbar ihnen das gewünschte Blau oder den schmalen Pinsel reicht. Ein höflicher und respektvoller Austausch entsteht. Ich bin erstaunt, wie schnell sich die Atmosphäre innerhalb einer Woche verändert hat. Am Ende des Vormittags bleibt noch Farbe übrig. Ich lege ein großes Blatt Papier auf die Mitte des Tisches und schlage vor, dass jeder seine Restfarben darauf vermalt. Ein gemeinsames Gruppenbild entsteht. In großen Buchstaben hat ein Mädchen das Wort "teamwork" geschrieben. Es ist das Mädchen, dass gerade am Vortag in die Wohngruppe eingezogen ist und die ganze Zeit kaum etwas gesagt hat.