Gespräche über Gott
Gespräche über Gott
Eine ganze Weile arbeite ich schon mit Rico, und es ist ein ständiges Auf und Ab. Der Zweitklässler steht sich selbst im Wege. Es fällt ihm schwer, sich zu konzentrieren. Ständig ist er abgelenkt. Vor allem aber traut er sich wenig zu und wird schnell wütend, wenn es schwierig wird.
Der Wunsch nach einer heilen Welt
Rico hat es nicht leicht: In der Schule kommt es immer wieder zu Konflikten. Vor allem aber vermisst er seine Mutter und seine kleine Schwester, denn Rico lebt im Kinderheim. Am Ende jeder Therapiestunde malt er ein Bild, in dem er sich selbst, seine Mutter und seine Schwester darstellt. Er bildet eine heile Welt ab, die er sich so sehr wünscht. Immer wieder und wieder bringt er dasselbe zu Papier - die Bilder ähneln sich.
Das Bild verändert sich
Wie immer zeichnet Rico am Ende der Stunde, doch heute entsteht etwas Neues: Zuerst beginnt er wie immer mit einer grünen Wiese am unteren Bildrand. Auf die Wiese stellt er drei Personen: seine Mutter, seine Schwester und sich selbst. Dann umrahmt er die Figuren, es entsteht ein goldenes Haus. Und im Haus befinden sich zwei große Berge mit Gold. "Wozu das Gold?", frage ich. - "Damit wir reich sind.", antwortet Ben. Es ist der materielle Mangel, den er im Elternhaus erlebt hat und mit dem Gold ausgleichen will.
Der Teufel vor der Tür
Doch die heile Welt ist in Gefahr. Rechts neben das Haus zeichnet er eine rote Figur, den Teufel. Er bedroht die kleine Familie, denn er ist viel größer als die anderen Figuren. Seine Hörner und der mächtige Dreizack sind beängstigend. Der Teufel verkörpert als das Böse, Beängstigende, Bedrohliche in Ricos kindlicher Welt.
Doch dann kommt Gott
Rico hält kurz inne und überlegt, wie er weiterarbeitet. Er zeichnet eine goldene Figur genau über das goldene Haus. Der Kopf ist ganz klein und gelb, man sieht ihn kaum. Dagegen ist der Heiligenschein deutlich erkennbar. "Was macht Gott?" - "Er bekämpft den Teufel." Und tatsächlich: mit einem goldenen Stab schickt er seine Kraft in Richtung Teufel. Gott ist kleiner als der Teufel, und so kommt noch eine weitere Figur dazu: ein Engel. "Der Engel hilft Gott", erklärt Ben. Auch der Engel bekommt einen Heiligenschein.
Rico ist nicht allein
Nochmals überlegt Ben, ob das Bild fertig ist. Neben sich selbst zeichnet er eine vierte Figur ins Haus. "Das bist Du.", sagt er und schaut mich an. Ich bin kleiner als Ben, habe ein freundliches Gesicht und schwebe über dem Boden. Sich selbst und seine Familie dagegen hat er mit grünen Schuhen fest auf dem Boden verankert. Als ein kleiner und doch beständiger Begleiter stehe ich zwischen Rico und dem Teufel. Ich darf ihm in der Therapie einen schützten Rahmen bieten, in der er sich entwickeln kann. Ben hat viele Helfer und ist nicht allein - ein tröstliches Bild.